Im Yoga sind wir achtsam und bewerten nicht, oder wie war das? Da erkläre ich meinen Yogaschülern immer wieder, wie wichtig die Arbeit an den Handgelenken und Schultern als Basis für den Handstand ist und werde belächelt, ignoriert und bekomme sogar ironische Bemerkungen. Dann lade ich den athletischen, attraktiven Gravitycoach als Dozenten ein und alle machen genau das mit Begeisterung und wollen es zukünftig regelmäßig machen.

Der Handstand als Herausforderung

Handstand und Kopfstand wollen inzwischen viele Yogis können. Doch sind gerade diese Asanas nicht reine Ego-Haltungen und widersprechen eher der Yogaphilosophie? Muss man für das „Zu-Ruhe-Kommen-der-Gedanken“ den Handstand oder Kopfstand können? Sicher nicht. Aber er ist eine Herausforderung für Körper und Geist. Und letztlich wahrscheinlich sogar einfacher zu bewältigen als „Yoga citta vritti nirodha“!1

Der Handstand boomt. Vor 20 bis 30 Jahren konnten ihn in meiner Erinnerung nur Turner, Artisten und Kinder. Wenn ich heute im Internet unterwegs bin, beschleicht mich das Gefühl, der Handstand gehört zum „Must-Can“ eines halbwegs sportlichen Menschen. Als Yogalehrerin und Trainerin komme ich mir schon fast exotisch vor, weil ich ihn nicht kann. Was mich nicht wirklich stört. Und es reicht auch nicht auf Händen zu stehen. Es wird zudem gewetteifert, wie gerade er ist, wie lange man ihn halten kann, es wird auf Händen gelaufen, Handstand-Push-ups , einarmiger Handstand etc.

Der Kopf muss mitmachen

Für mich liegt die größte Motivation am Handstand zu arbeiten darin, meine Angst zu überwinden. Ich möchte nicht kerzengerade lange Zeit stehen können, sondern ohne Angst in die Haltung gehen können. Mit einer Leichtigkeit, wie der 14-jährige Atakan es im Workshop immer wieder versucht hat. Try´n´error mit Spaß. Lachend fallen und aufstehen. Die Technik dabei zu erlernen ist, ein wichtiger Aspekt, bringt mich aber letztlich nicht ans Ziel, solange meine Kopf nicht mit macht.

Ich arbeite nun seit ca. 3 Jahren phasenwiese mehr oder weniger am eigenen Handstand. Ich habe mehrere Workshops zu dem Thema besucht, gefühlt über 100 Videos dazu gesehen. Technisch weiß ich, wie ich mich vorbereiten muss und wo meine körperlichen Defizite sind. Doch das größte Hindernis ist und bleibt der Kopf.

Erst vor einem Jahr habe ich mich getraut alleine an der Wand hoch zu springen. Damals war ich schweißnass, wenn ich es auch nur einmal hoch geschafft hatte. Und nicht wegen der körperlichen Anstrengung. Heute kann ich so lange hoch, bis ich keine Kraft mehr habe, von Schweißausbrüchen bin ich dann aber noch weit entfernt. Die „Wall Walks“ sind hingegen noch immer ein Horror für mich. Sie sind natürlich auch sehr kraftintensiv, aber vor allem dieses Gefühl keine Fall-Sicherung im Rücken zu habe. Das Hintenüberkippen ist mein größter Horror. An anderen Armbalancen wie der „Krähe“ merke ich, wie die Bezwingung dieser Haltungen mich mental stärkt. Wenn ich daran denke, dass ich vor ca. 6 Jahren mit derselben Panik anfing, mich an die Krähe zu wagen. Solch eine Leichtigkeit im Handstand zu bekommen, stelle ich mir grandios vor. Kontrolliert die Beine über Kopf zu bekommen und wieder abzusetzen. Wie der Handstand dann aussieht, wäre mir für mich egal.

Meine Motivation, den Handstand zu erlernen liegt nach wie vor auf einer Skala von 1 bis 10 lediglich bei 6 bis 7. Doch selbst wenn ich ihn nicht kann und vielleicht sogar nie ohne Hilfe können werde, so möchte ich natürlich mein Bestes geben, ihn meinen Teilnehmern beizubringen, die ihn unbedingt können wollen und teilweise physisch und mental wesentlich bessere Voraussetzungen dafür mitbringen.

Handstandworkshop bei Kayoga

Deshalb habe ich auch den Gravitycoach Manuel Guarrera zu mir eingeladen, einen Handstand-Workshop zu geben. Er hat uns auf unterhaltsame Art die Basis der Handstand-Haltung vermittelt. Eben, dass es eine (umgekehrt) aufrechte Haltung ist. Grundübung sollte somit die Arbeit an der aufrechten Haltung im Stand auf den Füßen sein. Wer im Stand nicht in einer Linie stehen kann, z.B. durch eine Hyperlordose oder Hyperkyphose, wird es im Handstand schwer haben, sich auszubalancieren. Das kommt daher, da sich der Körper nicht von alleine automatisch in einer geraden Linie ausrichtet. Je mehr wir im Lot stehen können, umso weniger Kraftaufwand brauchen wir im Handstand.

Wie eingangs erwähnt, konnte er sämtliche Teilnehmer auch von der Wichtigkeit der Basisübungen für Handgelenke, Schultern, Brustwirbelsäue und Core nicht nur überzeugen, sondern regelrecht begeistern. Selbst ich konnte aus dem Workshop tatsächlich etwas Neues mitnehmen, was mich wieder ein Stück weiter gebracht hat. Zum Schluss hat Manuel jeden Teilnehmer mindestens einmal in den Handstand geholfen. Die strahlenden, teilweise erstaunten Gesichter waren der perfekte Abschluss für den Workshop.

Das sind Momente im Leben, die einem keiner nehmen kann. Danke an alle Teilnehmer und natürlich auch an Manuel Guarrera, den ich als Trainer schon länger zu schätzen weiß und nun auch als Dozenten wärmstens weiterempfehlen kann.

Namasté

Kay

1„Yoga citta vritti nirodha“ bedeutet: Yoga ist das zur Ruhe bringen der Gedanken im Geist. Die Definition stammt von dem indischen Gelehrten Patanjali, der mit dem Yoga-Sutra, einen Leitfaden für den Yogaweg verfasste. Dieser Satz steht zu Beginn und beschreibt zusammenfassend, das zentrale Element im Yoga.